Wie liest man ein altes Kriegstagebuch?

von Mo

Handgeschriebene Texte aus dem letzten Jahrhundert sind oft in der „Sütterlin“ Schrift verfasst. Was tun, wenn man sie entziffern will?

Vor ziemlich vielen Jahren fing es damit an, dass ich das Kriegstagebuch meines Großvaters lesen wollte. Er hat es durch den zweiten Weltkrieg geschleppt und viele seiner Erlebnisse (aber längst nicht alle) darin festgehalten. Mein Opa war damals schon ziemlich am Endes seines Lebens angekommen und es war nur eine Frage der Zeit, wann ich ihn nicht mehr würde fragen können, was in dem Büchlein steht. Das Problem war, dass er das Kriegstagebuch in der damals üblichen Sütterlin Schriftart geschrieben hat. Diese besteht für das ungeübte Auge vor allem aus Zickzacklinien, die wie endlos aneinander gereihte Buchstaben „u“ und „n“ aussehen. Es mag natürlich auch an der Faulheit jedes Einzelnen liegen, in wieweit die eigene Handschrift ordentlich ausgeführt oder eher sparsam verhuscht rüberkommt.

Da mein Opa zu dieser Zeit ziemlich oft bei uns war und nach dem gemeinsamen Mittagessen eh nichts mehr zu tun hatte, schnappte ich mir das alte Diktiergerät und bat ihn, mir doch einfach ein paar Seiten vorzulesen. Es war ja nicht nur die Handschrift, sondern es waren auch die vielen unbekannten militärischen Begriffe und Abkürzungen, die ich lernen musste. Und so verbrachten wir recht viel Zeit mit Vorlesen und Aufnehmen. Zwischendurch kamen ihm natürlich ab und zu die Erinnerungen hoch… wie gesagt, nicht alles schreibt man in ein Kriegstagebuch.

So sieht eine typische Doppelseite aus:

Die Woche über habe ich hinterher das Tonband abgehört, mit dem Geschriebenen verglichen und alles so gut es ging abgetippt. Auf diese Weise lernte ich die Schrift im Laufe der Zeit recht gut zu lesen. Als dann mein Opa irgendwann nicht mehr war, konnte ich so den restlichen Text fast vollständig rekonstruieren.

Es hätte sicherlich auch die Möglichkeit gegeben, über Vereine mit Ehrenamtlichen jemanden zu finden, der eine Übersetzung erstellen kann. Aber ich wollte es ja selbst schaffen. Wäre das heute, in Corona-Zeiten gewesen, wo sich jeder in der Quarantäne zu hause langweilt, dann hätte ich mir vielleicht einen Onlinekurs zum Thema Lernen der Sütterlinschrift (https://suetterlinlernen.de) gegönnt. Sehr teuer ist so etwas nicht und die einzelnen Lektionen beschäftigen einen für ein paar Tage. Man fühlt sich wieder wie ein Grundschüler und darf sich ganz auf das Schreiben und Verbinden von Buchstaben zu Wörtern freuen. Eine Schultüte bekommt man leider nicht, dafür muss man aber auch nicht vier Jahre lang die Schulbank drücken, sondern es reichen schon ein paar Stunden.

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